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Die Brust und die Milchbildung

In jeder Brustwarze enden 4-18 Milchkanäle, die sich hinter den Brustwarzen wie Äste bei einem "Obststrauch" weiter verzweigen. Jede Brust hat also 4-18 unabhängige Systeme, die jedes für sich Milch bilden und selbständig nach außen führen. Die Brustwarze ist sozusagen nur eine "Bündelung" dieser unabhängigen Systeme. Die Anzahl der Milchkanäle (=Systeme) ist von Frau zu Frau verschieden und hängt nicht mit der Brustgröße zusammen. Die ältere Literatur gibt übrigens fälschlich noch 15-25 Milchkanäle an. An den Enden der vielen Verzweigungen befinden sich Tausende kleiner Milchbläschen wie Beeren an einem Strauch. Das sind die Drüsen, in denen die Milch gebildet wird.

Das Drüsengewebe ist von Fett- und Bindegewebe umgeben. Um die Milchdrüsen (Milchbläschen) und um die Milchkanäle herum befindet sich Muskelgewebe, das sich beim Stillen zusammenzieht und die Milch herausdrückt. Die Brustwarzen und der Warzenhof sind aus Muskelfasern und sehr vielen Nervenendungen zusammengesetzt. Die Brustwarze richtet sich (im Gegensatz zum Penis) nicht durch Einströmen von Blut auf, sondern durch Muskelanspannung. Die Muskeln der Brustwarze sorgen auch für den Verschluß der Milchkanäle. Übrigens lernt man es als stillende Frau mit der Zeit, die Milchkanäle geschlossen zu halten und braucht nicht ewig Stilleinlagen im BH zu tragen. Da die Muskeln der Brustwarzen aber eher unwillkürlich reagieren, können typische Stillsituationen (auch in der eigenen Phantasie) noch eine Weile lang zum reflexartigen Öffnen der Milchkanäle und damit zu tropfenden Brüsten führen. Aber auch das ist erlernbar und irgendwann sind Stilleinlagen dann tatsächlich überflüssig.

Die Entwicklung der Brust:
Kind: Alle Anlagen zur Milchbildung sind bereits im Kindesalter vorhanden - sogar beim Mann. So kann es zum Beispiel kurz nach der Geburt bei Jungen und Mädchen vorkommen, daß aus den Brustwarzen echte Milch austritt. Aber beim Mann bleibt das Drüsensystem dann sozusagen im vorpubertären Zustand.
Pubertät: Bei den Mädchen kommt es in der Pubertät zu einer Fetteinlagerung um das Drüsengewebe herum und zu einer Verzweigung der Drüsengänge und der Bildung neuer Drüsenknospen.
Zyklus: Die Brust entwickelt sich aber auch während des weiblichen Zyklus geringfügig weiter. Die Östrogene der ersten Zyklusphase fördern das Wachstum der Milchgang-Endstrukturen (Alveolarzellen) und die Progesterone nach der Ovulation führen zur Weiterentwicklung der Drüsen. In der zweiten Zyklusphase schwellen die Brüste außerdem wegen vermehrter Durchblutung der Brustdrüsen und gesteigerter Wassereinlagerung im Bindegewebe an. Im Verlauf der Menstruation gehen Durchblutung und Wassereinlagerung dann wieder zurück und die Brust verkleinert sich wieder etwas. Diese Veränderungen wiederholen mit jedem Zyklus. Die erfolgte geringfügige weitere Ausdifferenzierung des Brustgewebes findet bis zum Alter von etwa 30 Jahren statt.
Stillvorbereitung: In der Vorbereitungszeit zum Stillen (also in der Regel in der Schwangerschaft, aber nicht nur) wachsen die Milchdrüsen und das System aus Milchbläschen und Milchkanälen weitet sich stark aus. Außerdem kommt es zu weiteren Fetteinlagerungen. Die "Teenie-Brust" entwickelt sich zur "erwachsenen" Brust. Von außen sieht man, daß die Brüste noch einmal stark wachsen, die Brustwarzen größer und dunkler werden und die Brust sich oft etwas nach unten neigt. Die meisten Männer sind davon übrigens sehr fasziniert.
Stillen: Wenn die Milch infolge einer vorangegangenen Schwangerschaft gebildet wurde, geben die Brüste zunächst proteinreiches und fett- und kohlenhydratarmes Kolostrum. Das Kolostrum fehlt, wenn die Milchbildung ohne vorangegangene Schwangerschaft zustandegekommen ist.
Einige Tage nach der Geburt bilden sich enge Zell-Zell-Verbindungsstellen zwischen den Alveolarzellen und es entwickelt sich allmählich die reife Frauenmilch. Zu Beginn des Stillens ist die Milch wässriger. Erst nach längerem Saugen wird die Milch allmählich fetthaltiger und nach 15-20 Minuten wird sie "sättigend".
In den ersten Tagen wird die Milchgabe rein hormonell geregelt. Danach reagiert das Gesamtsystem zur Milchbildung auf Anforderung. Es entsteht ein Refelexbogen, bei dem
1. der Saugreiz an der Brustwarze
2. die Leerung der Milchhöhlen und
3. psychische Reize
entscheiden, wann und wieviel Milch gebildet wird.
Abstillen: Nicht ganz vergessen werden sollte, daß als letzte Phase der Brustentwicklung auch die zeit nach dem Abstillen genannt werden muß. Diese Phase der Brustentwicklung wird Involution genannt und setzt etwa 40 Tage nach dem letzten Stillen ein.
Selbe Frau: noch nie schwanger, 14 Tage nach Geburt, 6 Monate nach Geburt kurz vorm Stillen, 3 Jahre nach Geburt 2x am Tag stillend
Die Umstellung zur erwachsenen Brust ist nicht von einer Schwangerschaft abhängig. Sowohl diese Umstellung, als auch der Einschuß oder Wiedereinschuß der Milch kann ohne Schwangerschaft lediglich durch mechanische Stimulation erfolgen. In der dritten Welt ist es z.B. gar nicht so selten, daß die Großmutter wieder Milch bekommt, um bei Abwesenheit der Mutter aushelfen zu können.
Ebenso kommt es vor, daß die älteste Tochter einer Großfamilie ihre jüngsten Geschwister mitstillt. Das habe ich auch in Deutschland einmal kennengelernt. Die Mutter war stark alkoholabhängig und vernachlässigte das Baby. Ihre älteste Tochter (damals 13 Jahre alt) legte das schreiende Baby aus Mitleid wiederholt an die eigene Brust und bekam nach einiger Zeit Milch. Dies kam heraus, als eine Heimeinweisung angeordnet werden sollte.
Die Milchbildung kann auch nur durch psychischen Einfluß zustandekommen, z.B. bei sehr starkem Stillwunsch, der eventuell mit den entsprechenden körperlichen Anlagen zusammenfällt. Beispielsweise berichtete mir eine Frau, daß ihre extrem vereinnahmende Mutter (also die Großmutter des Babys) nach der Geburt des Enkelkindes selbst Milch bekam und sie überzeugen wollte, das Kind aus praktischen Gründen mitstillen zu können.
Und schließlich gibt es auch eine ganze Reihe von Frauen, die hormonell bedingt permanent Milch haben. Das kann einfach anlagebedingt sein und gehört dann eben zum eigenen Körper dazu. Man sollte aber abklären lassen, ob nicht ein ein Tumor verantwortlich ist. Außerdem können auch Streß, Schilddrüsenstörungen und die Einnahme bestimmter Medikamente eine Milchbildung hervorrufen.

Die Größe der Brust hat keinen Einfluß auf die Milchmenge, sie sagt lediglich aus, wieviel umgebendes Fettgewebe die Brust hat. Auch kleine Brüste können sehr viel Milch geben, zumal die Brust bereits unter den Armen und an der Schulter beginnt.

Hormone
Bei der Milchbildung spielen die Hormone Prolaktin und Oxytocin (Oxytoxin, Oxitozin) eine Rolle.
Prolaktin stimuliert das Brustdrüsenwachstum, induziert den Milcheinschuß und hält die weitere Milchproduktion aufrecht. Prolaktin unterdrückt auch Eisprung und Monatsblutung, wenn oft genug am Tag (etwa 5x) gestillt wird. Die Ausschüttung von Prolaktin wird unter anderem durch mechanische Reizung der Brustwarzen (Saugreiz), Streß und Hunger gefördert.
Oxytocin stimuliert die Kontraktion der glatten Muskulatur (Gebärmutter, Milchkanäle) und stimuliert den Sekretionsreiz (Brustwarzen, Scheide, Gebärmutter). Oxytocin wird auch beim Orgasmus ausgeschüttet.
Kurz und knapp: Prolaktin bewirkt die Milchbildung und Oxytocin bewirkt das Fließen der Milch (Milchspendereflex).
Neben der unmittelbaren körperlichen Wirkung haben die beiden Hormone Prolaktin und Oxytocin auch psychische Wirkungen. Oxytocin wird bei Frau und Mann bei Zärtlichkeiten und beim Geschlechtsverkehr ausgeschüttet und hat opiumartige Wirkungen (Euphorie, Beruhigung). Diese Beobachtungen gelten für hetero- und homosexuelle Paare gleichermaßen. Es wird vermutet, daß die Freisetzung von Oxytocin stabilisierend auf eine Beziehung wirkt. Oxytocin wird deshalb gerne als "Kuschelhormon" oder "Bindungshormon" bezeichnet. Nachgewiesen werden konnte zumindest (bei Männern!), daß man seinem Partner unter Oxytocin-Einfluß sehr viel mehr Vertrauen entgegenbringt.
Sowohl Oxytocin als auch Prolaktin erzeugten in Tierversuchen mit Ratten elterliches Pflegeverhalten bei Tieren, die selbst keine Jungen hatten. Bei Kaiserpinguinen fördert Prolaktin den Kinderraub bei anderen Vögeln; wird der Prolaktinspiegel künstlich gesenkt, kommen diese Entführungen sehr viel seltener vor. (Lesetips: oxytocin.org und www.med4you.at).

Reflexe
Zwei hormonell gesteuerte Reflexe regeln die Milchproduktion und -abgabe: Der Milchbildungsreflex und der Milchflußreflex.
Der Milchbildungsreflex wird durch häufiges Saugen und die weitgehende Entleerung der Brust gefördert. Der Milchfluß kommt von Frau zu Frau unterschiedlich schnell in Gang. Das Saugen an der Brustwarze gibt dem Nervensystem die Information, daß Milch angefordert wird. Daraufhin schüttet die Hirnanhangdrüse Prolaktin aus, welches auf dem Blutweg in die Brust gelangt und dort die milchbildenden Zellen stimuliert.
Der Milchflußreflex wird ebenfalls durch das Saugen und die darauf nach ein bis drei Minuten einsetzende Ausschüttung des Hormons Oxytocin aus der Hirnanhangdrüse ausgelöst. Auf seinen Reiz hin öffnen sich zunächst die Milchgänge und -seen und geben die dort "auf Vorrat" angesammelte Milch frei. Außerdem ziehen sich die Milchbläschen zusammen und entleeren laufend frisch gebildete Milch in die Milchkanäle, von wo sie zur Brustwarze transportiert wird. Oxytocin regt außerdem die Gebärmutter an, sich zusammenzuziehen. Viele stillende Frauen merken diese Kontraktionen ganz deutlich.
Normalerweise dauert es etwa eine halbe bis drei Minuten, bis die Milch frei fließt. Hat sich jedoch das sehr störanfällige hormonelle Reflexsystem erst einmal richtig eingespielt, kann allein schon der Gedanke ans Stillen den Milchfluß auslösen.

Ein paar Schlußfolgerungen
Unabhängige Systeme: Ein System kann je nach Beanspruchung mehr oder weniger aktiv sein als andere. Wenn die Milch mal nicht richtig fließt, kann das Ändern des Mundwinkels die Milch wieder zum Fließen bringen, da man dann die Milch "aus einer anderen Quelle" bekommt. Darüber hinaus sollte man darauf achten, alle Systeme leerzutrinken. Wenn eine genau zu lokalisierende längliche Stelle in der Brust schmerzt, dann handelt es sich in der Regel um ein oder mehrere Systeme, die sich durch übriggebliebene Milch entzündet haben.
Bei Brust-Piercing werden meist mehrere Milchkanäle beschädigt, aber da mehrere Kanäle/Systeme existieren, ist das Stillen in der Regel noch möglich. Wenn bei gepiercten Brüste aber Kanäle durch Vernarbung verschlossen werden, kann (ganz logisch) nicht die volle mögliche Milchmenge gegeben werden. Man kann aber auch Glück haben und die Milch tritt durchs Piercing-Loch aus. Ob eher ein Austritt durchs Piercing-Loch oder eher ein Verschluß durch Vernarbung öfter vorkommt, weiß ich selbst nicht. Ich habe von beidem gehört.
Milch-Höhlen: In der älteren Literatur werden Milch-Höhlen als eine Art Vorratskammern direkt hinter den Brustwarzen erwähnt. Diese existieren aber so nicht. Allerdings kann das gesamte Drüsensystem eine gewisse Menge Milch für die sofortige Entnahme speichern, bis die in Gang kommende Milchproduktion die wesentliche Milchmenge liefert.
Die Brust beginnt unter den Armen und an der Schulter: Vergeßt das bei der Massage nicht, es ist meist außerordentlich angenehm, wenn die Brustpartien unter den Armen und an der Schulter massiert werden. Und überhaupt sollte das Massieren der Brüste zu einem festen Ritual werden. Die stillende Frau wird es lieben, wird dadurch motiviert und hat es außerdem auch verdient.
Milchbildung ohne Schwangerschaft: Daß die Milchbildung durch äußere Reizung (mechanisch und psychisch) zustandekommt, heißt für uns vor allem auch, daß der Milchfluß auf Wunsch herbeigeführt werden kann. Dafür wird der Begriff "Induktion" (engl: induced lactation) verwendet. Das ist genauer im Kapitel "Milchbildung" beschrieben. Es funktioniert wie oben erwähnt auch bei Frauen, die noch nie zuvor gestillt hatten - wenn auch nicht ganz so gut. Manche Frauen nehmen zur Unterstützung auch zeitweise Medikamente wie Domperidon. Dazu findet ihr mehr im Kapitel "Drogen".
Geschlechtsorgane: Die Eierstöcke und die Gebärmutter sind an der Milchbildung nicht beteiligt. Deshalb können auch Frauen ohne Ovarien und/oder Uterus stillen. Ebenso können Frauen in oder nach den Wechseljahren bis ins hohe Alter stillen. Beides gilt sowohl fürs (Weiter-) Stillen, als auch für die Einleitung der Milchbildung mit oder ohne vorangegangene Stillzeiten. Aber: Frauen ohne Zyklus bilden kein Progesteron mehr, welches das Drüsenwachstum anregt. Ohne eine einmalige externe Progesterongabe können postmenstruelle Frauen daher nur relativ wenig Milch bilden, wenn ihre letzte Stillzeit bereits lange zurückliegt oder sie noch nie gestillt hat.