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Brustmilch-Kannibalin

(engl. Original: "Breast milk Cannibal")
von Melanie Barton Zoltan

Als ich mit dem Pumpen fertig war, hatte ich eine kleine Flasche voll Brustmilch beisammen. Ich schraubte den Pumpenanschluß von der Flasche ab und starrte auf den Inhalt. Nachdem ich die Milch eine halbe Minute lang begutachtet hatte, stellte ich fest, daß sie eine grünliche Tönung hatte. Es roch auch ganz leicht nach Gras. Ich hatte etwa eine Stunde vorher einen riesigen Salat zu Mittag gegessen und ich fragte mich, ob das die Zusammensetzung der Brustmilch irgendwie geändert hatte. Als nur noch fünf Minuten bis zum Ende meiner Pause übrig waren, sah ich kurz wieder auf die Milch, dann auf die Uhr, und dann nahm ich versuchsweisen einen Schluck. Sie war warm und überraschend cremig. Sehr süß, aber nicht wie Zucker. Es erinnerte mich an Sommertage als Kind, wo ich mir mit ein paar Freunden den Spaß gemacht hatte, die Blüten von Klee auszusaugen.

Ich nahm einem Schluck, dann noch einen und dann trank ich schnell meine erste Flasche Brustmilch aus, seit ich im Jahr 1970 drei oder vier Monate alt war.

Als ich die Geschäftsreise (...) nach Lincoln in Nebraska geplant hatte, war ich nicht davon ausgegangen, daß ich noch voll stillen würde. Immerhin war Reilly zum Zeitpunkt der geplanten Reise vierzehn Monate alt. Nebenbei gesagt, war mein Ziel auch vierzehn Monate - zusammen mit den zehn Monaten Stillzeit bei meinem älteren Sohn würde ich dann die magische Grenze von 24 Monate erreicht haben, die laut einer neueren Studie mein Krebsrisiko um 487% oder so reduzieren würde.

Einen Monat vor der Reise bekam ich ernste Zweifel, ob ich fahren sollte. Ich war nicht darüber zu besorgt, eine Woche weg zu sein; bei meinem Mann Erik wären die Jungen ganztags in fähigen und liebevollen Händen (obwohl ich das vermutliche Durcheinander bei meiner Rückkehr fürchtete). Stattdessen wurde ich von der Angst zerfressen, daß Reilly dadurch entwöhnt werden könnte. Ich wollte noch mehr stillen. Ich wollte diese Beziehung fortsetzen, aber ich gefährdete das aus dem einzigen Grund, den eigenen Wunsch zu erfüllen, eine ganze Woche mit 200 Historikern zu verbringen. Mit ihnen verband mich ein gemeinsames Interesse an einem Spezielthema, das acht Stunden am Tag absolviert werden würde.

Ich hatte vor, die Milch während meiner Abwesenheit abzupumpen und dachte mir, daß ich die Milch aufheben und dann nach Hause nehmen könnte. Und dann las eich eine Reportage über Elizabeth McGarry in Oceanside, N.Y., die Mutter eines 4 Monate alten Säuglins, die im August 2002 vom Sicherheitsdienst des JFK-Flughafens gezwungen worden war, drei Flaschen ihrer Brustmilch auszutrinken, weil angeblich "Sprengstoff in der Brustmilch" sein könnte. Ich hatte auch andere Anekdoten über abgepumpte Brustmilch bei Kontrollen gehört, bei denen Mütter durchsuch und aufgehalten wurden, sowie über die Sache mit dem Kosten und Trinken der Milch. Um so etwas zu vermeiden, entschloß ich mich, zu pumpen und die abgepumpte Milch wegzuschütten. Dan würde meine Milch bleiben und ich hätte keine häßlichen Szenen am Flughafen.

Ich haßte den Gedanken, die Milch in den Abfluß oder eine Toilette zu kippen. Ich hatte nämlich vor zehn Jahren eine Operation zur Brustverkleinerung und es war eine großer Aufwand für mich mit unzähligen Besuchen bei der Stillberatung, Hunderten Tassen Stilltee, Fenugreek-Kapseln und diversen Stillprogrammen. Ich tat alles, um normal stillen zu können und jeder Tropfen Brustmilch war wertvoll. Meine Brustmilch nun dem Abwassersystem von Lincoln in Nebraska zu übergeben, war nicht gerade angenehm.

Und so fand ich mich in meinem Zimmer an der Universität wieder, wo wir untergebracht waren, wie ich viermal am Tag pumpte und meine eigene Körperflüssigkeit trank. Ich sagte mir, wenn es gesund für das Baby war und ich mir die Mühe mit dem Pumpen mache, warum soll ich mich dann nicht mit den eigenen Nährstoffen stärken? - Es war das ultimatuive Recycling-Projekt.

Ich würde mal sagen, daß auf wunderbare Weise mein Immunsystem gestärkt wurde, meine Haut weich und geschmeidig wurde, mein Haar glänzend und ich lief einen Marathon. Aber in Wirklichkeit brachten die zwölf Unzen Brustmilch pro Tag nur zwei Ergebnisse für mich. Zum ersten war mein Verdauungssystem hinterher wie neugeboren. Jede Verstopfung, unter der ich gelitten haben könnte, wurde dadurch gelindert, daß mein Körper die Milch nun wieder wie ein Neugeborener verarbeiten mußte. Mit anderen Worten, innerhalb einer Stunde nach Trinken meiner Milch mußte ich die Toilette aufsuchen ... und zwar schnell. Und zweitens, da ich meine Pausen mit Pumpen verbrachte, war zum einen keine Zeit mehr zum Essen und zum anderen merkte ich die Hungerattacken nicht.

Nachdem ich erst einmal das erste Glas getrunken hatte, war der Rest leicht. Ich merkte, daß ich es sehr genoß, die Milch zu trinken und es je nach Stimmung und Hunger sogar kaum erwarten konnte. Ich hatte zuvor mal in Online-Foren von Müttern gelesen, die ihre überschüssige Milch in Suppen oder so hineingetan hatten und fand das immer ein wenig übertrieben. Zudem war ich der Meinung, wenn ein Kind so groß ist, daß es nach dem Stillen fragen kann, dann ist es zu groß, um noch gestillt zu werden. Jetzt zieht mir Reilly das Hemd hoch, sagt "na na" und ich finde es bezaubernd. Meine Einstellung ändert ihren Inhalt wie die Brustmilch den Umständen entsprechend.

Ich habe erfahren, daß ich nicht die einzige Erwachsene bin, die Brustmilch trinkt. Vor kurzem haben die Medien berichtet, daß in China ein örtliches Restaurant Gerichte serviert, die mit menschlicher Brustmilch gemacht werden. Sie bzahlten sechs Frauen vom Land für ihre Brustmilch und verwendeten sie in Fischgerichten. Das Restaurant plante ein Bankett mit 108 Speisen, die Brustmilch enthalten. Das Bankett wurde dann abgesagt, weil Einwohner der Gegend mit dem Argument protestierten, daß die Milch für die Babys benötigt wird.

Krebspatienten bekommen oft menschlicher Brustmilch, um nach einer Chemotherapie zu helfen, daß das Immunsystem wieder aufgebaut wird. Muttermilchbanken liefern die pasteurisierte Milch. Irgendwo pumpen Mamas und lagern Milch, damit andere Erwachsene sie trinken. In meinem Fall war ich Spenderin und Empfängerin, Qualitätssicherung und Verbrauchermeinung alles in einem.

Als ich nach zusammen etwa 30 mal Pumpen und dem Trinken von etwa 90 Unzen Brustmilch wieder zu Hause ankam, war Reilly nur langsam wieder dafür zu erwärmen. Erik hatte ihn mit einer Diät aus dem Gefrierfach gefüttert. Ich hatte gehofft, daß ihm das die Liebe zu meiner Milch erhalten würde. Nach ungefähr zwölf Stunden trank er dann wieder aus meiner Brust und jetzt, sechs Monate später, liebt er wieder seine "Na na".

Ich bin etwas davon hin- und hergerissen, daß ich ein ein Brustmilchkannibale bin. Ich habe keinen Drang zum "Naschen" und hier zu Hause ist es auch seine Milch und nicht meine. Manchmal vermisse ich, daß ich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte, als ich fort war: Meinen Wunsch, mit Kollegen zu diskutieren, die Notwendigkeit, meine Versorgung und Verbindung zu meinem Säugling zu erhalten und außerdem meinen Wunsch, das flüssiges Gold zu ehren. Manchmal vermisse ich sogar den Geschmack meiner Milch und das Gefühl, daß ich die Früchte meiner Arbeit ernte. Am meisten aber bin ich über die bemerkenswerte Elastizität meines Körpers erstaunt, meine Stillbeziehung zu Reilly und meine Einstellungen und Tabus.


Melanie Barton Zoltan ist freiberufliche Schriftstellerin, war Professorin für Geschichte und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in Amherst, MA. Ihre Arbeiten erschienen in Brain, Child, austinmama.com, Today's parent, Miscellany, Moxie und anderen Publikationen. Sie wurde zweimal für den Pushcart-Preis nominiert (immer eine Brautjungfer, aber nie eine Braut...). Und natürlich stillt sie (AUCH JETZT NOCH!).